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öffentlich


Betrauung einer städt. Beteiligungsgesellschaft mit gemeinwirtschaftlichen Aufgaben
hier: Neufassung und Verlängerung Betrauungsakt an die Braunfelser Kur GmbH


Gremium:
Stadtverordnetenversammlung
Typ:
beschließend
Status:
öffentlich
Fachbereich:
FB IV - Bürger- und Ordnungsamt
Nummer:
STVV-1621-2697
Sachbearbeiter(in):
Helge Kalte

Sachvortrag:

Die Stadt Braunfels hat die Braunfelser Kur GmbH im Rahmen des Betrauungsaktes vom 7. November 2013 mit Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Braunfels vom 7. November 2013 mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (sog. DAWI) betraut. Die Betrauung endet am 31.12.2020. Die höchst zulässige Dauer der Betrauung beträgt 10 Jahre und ist vorliegend nicht ausgeschöpft, so dass eine Verlängerung bis zum 31.12.2023 zulässig und geboten ist.
Die kommunale Wirtschaftsförderung in Form der Standortförderung erfolgt im öffentlichen Interesse der Stadt Braunfels und ihrer Einwohnerinnen und Einwohner an einer leistungsstarken Wirtschaftsstruktur sowie allgemein zur Verbesserung der Standortbedingungen im Gesellschaftsgebiet und mithin zu einem Stadt- und Tourismusmarketing im Interesse ihrer Einwohnerinnen und Einwohner in den Wirtschaftsräumen der Stadt Braunfels als Lebensraum.
Die Braunfelser Kur GmbH ist zum Zwecke der Umsetzung dieser Aufgaben und zur Stärkung und Entwicklung des Stadt- und Tourismusmarketings und allgemein der Stadtentwicklung für die Stadt Braunfels, gegründet worden. Die Braunfelser Kur GmbH bringt sich aktiv in die Stadtentwicklung, u.a. mit Veranstaltungskonzepten, Dienstleistungskoordination, sowie Pflege und Aufbau eines lokalen Netzwerks ein und unterstützt somit die Stadt Braunfels. Damit ist die Braunfelser Kur GmbH im Rahmen der allgemeinen und besonderen Wirtschaftsförderung im Hoheitsgebiet der Stadt Braunfels tätig und dient der Förderung bzw. der infrastrukturellen Entwicklung im Stadtgebiet.
I.     EU-Beihilferechtliche Situationsanalyse und Ausgangslage
Das europäische Beihilferecht ist in den Artikeln 107 und 108 des "Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (sog. Lissabon-Vertrag, nachfolgend: "AEUV") geregelt. Danach sind aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107 Abs. 1 AEUV). Unter dieses Beihilfeverbot fallen nicht nur direkte Zuschüsse, sondern weitere mögliche wirtschaftliche Vorteile (z.B. Kapitalzuführungen ohne Aussicht auf angemessene Gewinnausschüttung, Übernahme von Bürgschaften), die den Wettbewerb verzerren können.
Wird eine Beihilfe aus staatlichen Mitteln gewährt, bei der nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie den Wettbewerb verfälscht und hierdurch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, muss sie grundsätzlich bei der EU-Kommission angezeigt und notifiziert werden. Diese prüft dann, ob die Mittelgewährung mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Hierfür gibt es verschiedene Ausnahmeregelungen.
Die EU-Kommission erkennt im Rahmen von Artikel 106 AEUV an, dass Mitgliedstaaten bestimmte Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) erbringen müssen ("DAWI-Mitteilung"). Bei der Definition von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse steht den Mitgliedstaaten ein erhebliches Ermessen zu.
Charakteristisch für DAWI ist, dass sie nicht oder nicht in der notwendigen Breite ohne die Gewährung von staatlichen Mitteln vom Markt bereitgestellt werden. Weiterhin erkennt die EU-Kommission an, dass ein Mitgliedsstaat diese Dienstleistungen nicht zwingend selbst erbringen muss, sondern auch Dritte, wie die Braunfels Kur GmbH mit der Erbringung betrauen und hierfür Ausgleichsleistungen gewähren kann.
Staatliche Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI können Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV sein. Für diese Beihilfen sind Ausnahmeregelungen geschaffen worden. Voraussetzung für diese DAWI-Freistellung ist allerdings ein formeller Betrauungsakt. Der Freistellungsbeschluss der EU-Kommission enthält hierzu die inhaltlichen Vorgaben, die in der in Anlage dargelegten Neufassung des Betrauungsaktes näher beschrieben sind.
Nach bislang herrschender Meinung ist auch die (touristische) Wirtschaftsförderung unter diese Dienstleistungen zu fassen.
In jüngster Vergangenheit wurde bekannt, dass die EU-Kommission ihr Verständnis zum Begriff der staatlichen Beihilfe insbesondere im Kontext der öffentlichen Tourismus- und Marketingförderung geändert hat. Die Wirtschaftsförderung mit ihren besonderen Ausprägungen in den Sektoralbereichen Tourismus, Stadtmarketing, Citymarketing und Citymanagement wird von dieser nur noch in einem sehr eingeschränkten Maße als eine Aufgabe der öffentlichen Hand im Kontext der Daseinsvorsorge verstanden.
Im Kern könnte dieses bedeuten, dass die beihilferechtliche Qualifizierung bzw. Beurteilung von zukünftig aus öffentlichen Kassen erhaltenen Leistungen nicht mehr mittels eines Betrauungsaktes nach dem Freistellungsbeschluss der EU-Kommission erfolgen muss bzw. kann, sondern das entsprechend weniger voraussetzungsintensive und damit ressourcenschonendere Instrument vor allem der De-minimis-Verordnung zum Einsatz zu bringen ist.
Die EU-Kommission hat in mehreren Entscheidungen ihre neue Auffassung bestätigt. Die bisherig im Kontext der Daseinsvorsorge als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbrachten Tätigkeiten, stellen nach den allerjüngsten Entscheidungen der EU-Kommission - im Wesentlichen sogenannte "nichtwirtschaftliche Tätigkeiten" oder wirtschaftliche Tätigkeiten von lediglich "lokaler Bedeutung" dar. Konsequenz ist in beiden Fällen der Entfall des Beihilfebegriffs, da dieser zum einen an eine wirtschaftliche Tätigkeit anknüpft und die Tätigkeiten von grundsätzlich grenzüberschreitender Auswirkung für den Handel oder Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten sein müssen.
Abzuwarten bleibt die zum Zeitpunkt der Vorlage dieses Beschlusses im November 2020 weitere Entwicklung des höchst dynamischen Rechtsgebietes. Aus Vorsichtsgründen wurde die zur Befassung vorgelegte Neufassung des Betrauungsaktes daher um Bestimmungen erweitert, die es erlauben, auf die fortschreitende Entwicklung zu reagieren.
Die Aussagen der EU-Kommission aus jüngster Zeit sind bislang nur in wenigen Einzelfällen Gegenstand der Befassung durch die europäischen und nationalen Gerichte (gewesen).
Aus den vorgenannten Gründen soll im Falle der Braunfelser Kur GmbH grundsätzlich und einstweilen an dem Rechtsfertigungsinstrument des Betrauungsaktes festgehalten werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der laufenden Geschäftstätigkeit der Braunfelser Kur GmbH und im Zusammenhang mit den regelmäßig durch die Gesellschaft benötigten Ausgleichsleistungen sollen diese durch die neugefasste Betrauung der Gesellschaft beihilferechtlich bis zum Ablauf der höchst zulässigen Dauer von 10 Jahren bis längstens zum 31.12.2023 abgesichert werden.
Im Zuge dieser Anpassung sind weitere zwingende beihilferechtliche Bestimmungen umzusetzen:
 
1.        Höhe der Ausgleichsleistungen, Parametrisierung
Die Höhe der Ausgleichsleistung wird sich künftig anhand folgender Parameter bemessen:
· für den Bereich Stadtmarketing:
-     Einwohner im Gesellschaftsgebiet (40 v. H.)
-     sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Gesellschaftsgebiet (30 v. H.)
-     Zahl der Arbeitslosen im Gesellschaftsgebiet (20 v. H.) sowie
-     Ankünfte im Gesellschaftsgebiet (10 v. H.)
· für den Bereich Tourismus:
-     Einwohner im Gesellschaftsgebiet (40 v. H.)
-     Übernachtungen im Gesellschaftsgebiet (30 v. H.)
-     Ankünfte im Gesellschaftsgebiet (25 v. H.) sowie
-     Gästebetten im Gesellschaftsgebiet (5 v. H.)
· für den Bereich Flächen- und Immobilienbewirtschaftung:
-     Besucher von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen (40 v. H.)
-     Anzahl der Tage von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen (30 v. H.)
-     Art und Anzahl der Veranstaltungen in geschlossenen Räumen (30 v. H.)
· für den Bereich Kommunikation:
-     Einwohner im Gesellschaftsgebiet (40 v. H.)
-     sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Gesellschaftsgebiet (25 v. H.)
-     Übernachtungen im Gesellschaftsgebiet (25 v. H.)
-     Ankünfte im Gesellschaftsgebiet (10 v. H.).
2.        Höhe der Ausgleichsleistungen und Trennungsrechnung
Nach Art. 5 Abs. 1 des Freistellungsbeschlusses darf die Höhe der Ausgleichsleistungen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die durch die Erfüllung der DAWI-Leistungen verursachten Nettokosten abzudecken (Verbot der Überkompensation und der Quersubventionierung). Übt ein Unternehmen auch Tätigkeiten aus, bei denen es sich nicht um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handelt, so müssen daher in dessen Buchführung die Kosten und Einnahmen in Verbindung mit der Erbringung der betreffenden Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse von allen anderen Tätigkeiten getrennt ausgewiesen werden; außerdem ist anzugeben, nach welchen Parametern die Zuordnung der Kosten und Einnahmen erfolgt (Art. 5 Abs. 9 des Freistellungsbeschlusses). Vorsorglich ist davon auszugehen, dass die Braunfelser Kur GmbH auch künftig ihre Tätigkeit nicht ausschließlich auf die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse beschränken wird.
 
Als Konsequenz hieraus ergab sich die Erforderlichkeit einer Fortschreibung der bei der Gesellschaft eingeführten Trennungsrechnung. Die Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit der Erbringung der betreffenden Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und der Ausführung wirtschaftlicher Betätigung (Marktteilnahme) in der Buchhaltung müssen daher auch künftig getrennt ausgewiesen werden. Mithilfe der getrennten Buchführung soll es zum einen möglich sein, eine etwaige Überkompensation festzustellen, zum anderen kann mithilfe getrennter Buchführung nachgewiesen werden, dass keine verbotene Quersubventionierung von außerhalb der DAWI liegenden unternehmerischen Tätigkeiten (Marktteilnahme) durch DAWI stattgefunden hat. Die Gesellschaft praktiziert die Trennungsrechnung bereits seit Beginn der Betrauung. Zwischenzeitlich sind in einem umgreifenden Prozess eine Fortentwicklung und Optimierung der Trennungsrechnung vorgenommen worden.
 
II.    Verfahrensschritte
Die Neufassung des Betrauungsaktes berücksichtigt die in der Vorlage genannten Regelungsinhalte und Entwicklungen seit Vornahme der Betrauung ab 1. Januar 2014.
Die Neufassung des Betrauungsaktes führt zu keiner Änderung der Rechte und Pflichten der Braunfelser Kur GmbH.
Für die Gesellschaft wird eine Neufassung des Betrauungsaktes vorgelegt, mit dem zukünftig insbesondere die Zuführung der Ausgleichsleistungen der Stadt Braunfels für die nächsten Wirtschaftsjahre der Gesellschaft geregelt wird. Die Ausgleichsleistungen der Stadt Braunfels in Form von jährlichen Kapitaleinlagen sollen die Gesellschaft weiterhin allgemein in die Lage versetzen, ihre satzungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen.
Nach Mitteilung der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Braunfels über den Erlass der Neufassung des Betrauungsaktes, muss die Gesellschafterversammlung der Braunfelser Kur GmbH sodann über die Annahme der Betrauung beschließen.
Der Betrauungsakt bestätigt und konkretisiert den durch die Satzung begründeten Zweck der Braunfelser Kur GmbH, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne von § 106 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu erbringen, um damit den Anforderungen des Europäischen Beihilfenrechts ("Almunia-Paket" und "Altmark-Trans"-Rechtsprechung) Rechnung zu tragen.
Der Betrauungsakt zugunsten der Braunfels Kur GmbH beruht auf der am 31. Januar 2012 in Kraft getretenen Freistellungsbeschluss 2012/21/EU und ist auf einen Zeitraum bis zum 31.12.2023 befristet. Der Betrauungsakt folgt im Aufbau den seitens der Stadt Braunfels bereits in der Vergangenheit praktizierten Betrauungen.
Es wird rechtsvorsorglich empfohlen, die Tätigkeit der Braunfelser Kur GmbH auch weiterhin mit einem die Regelungen des Gesellschaftsvertrages ergänzenden Betrauungsaktes beihilferechtskonform abzusichern und den Änderungen durch Neufassung des Betrauungsaktes zuzustimmen.
Der Entwurf der Neufassung des Betrauungsaktes ist als Anlage  beigefügt.

Christian Breithecker
Bürgermeister
 
 
 
Beratung:
 
Herr Ausschussvorsitzender Schmidt berichtet über die Beratungsergebnisse im Haupt- und Finanzausschuss.

Beschluss:
 
1.        Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Braunfels nimmt in Fortführung der Stadtverordnetendrucksache Nr. 155 vom 7. November 2013 zur Kenntnis, dass die Stadt Braunfels aufgrund der EU-beihilferechtlichen Ausgangslage Betrauungsakte in Form von Verwaltungsakten und innerorganisationalen Akten für städtische Gesellschaften und Eigenbetriebe, die städtische Zuschüsse erhalten, erlassen muss.
2.        Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Braunfels nimmt in Fortführung der Stadtverordnetendrucksache Nr. 155 vom 7. November 2013 weiter zur Kenntnis, dass der Magistrat diese Betrauungsakte zu vollziehen hat.
3.        Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Braunfels beschließt die Betrauung der Braunfelser Kur GmbH auf der Grundlage der als Anlage beigefügten Betrauungsregelungen und beauftragt den Magistrat diese als Verwaltungsakt bzw. innerorganisationalen Akt zu erlassen.
4.        Des Weiteren wird der Magistrat als Vertreter der Stadt Braunfels in der Gesellschafterversammlung beauftragt, folgende Beschlüsse auszuführen:
a.    Der Betrauungsakt in der Neufassung gemäß Anlage wird angenommen; den Änderungen der Betrauung wird zugestimmt.
b.    Die Geschäftsführung wird beauftragt, die sich aus den Änderungen des Betrauungsaktes ergebenden Maßgaben zu beachten und insbesondere auf die Einhaltung des Sicherstellungsauftrages nach § 2 des Betrauungsaktes und auf die Erbringung der in § 3 des Betrauungsaktes aufgeführten Dienstleistungen hinzuwirken.

Abstimmung:
Ja-Stimmen:
25
 
Nein-Stimmen:
-
 
Enthaltungen:
-
 
Nicht anwesend (gem. § 25 HGO):
-

     


Beratungsfolge

Datum
Zur Kenntnis genommen
Genehmigt
Abgelehnt
Zurück-gestellt
Zurück-gezogen

 
 
 
 
 
 




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